2012 „Opfer-Abo”
Pressemitteilung der Jury: Wahl des 22. „Unworts des Jahres“
“Das von Jörg Kachelmann in mehreren Interviews verwendete Wort Opfer-Abo stellt Frauen pauschal und in inakzeptabler Weise unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und somit selbst Täterinnen zu sein.
Im Herbst 2012 sprach Jörg Kachelmann in mehreren Interviews (z.b. im Spiegel vom 8.10.2012) davon, dass Frauen in unserer Gesellschaft ein Opfer-Abo hätten. Mit ihm könnten sie ihre Interessen in Form von Falschbeschuldigungen - unter anderem der Vergewaltigung - gegenüber Männern durchsetzen. Das Wort Opfer-Abo stellt in diesem Zusammenhang Frauen pauschal und in inakzeptabler Weise unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und somit selbst Täterinnen zu sein. Das hält die Jury angesichts des dramatischen Tatbestands, dass nur 5-8 % der von sexueller Gewalt betroffene Frauen tatsächlich die Polizei einschalten und dass es dabei nur bei 3-4 % der Fälle zu einer Anzeige und einem Gerichtsverfahren kommt, für sachlich grob unangemessen. Das Wort verstößt damit nicht zuletzt auch gegen die Menschenwürde der tatsächlichen Opfer. Die Jury urteilt in keiner Weise darüber, ob und inwiefern Einzelpersonen von Verleumdungen betroffen sein können und somit auch nicht über den Fall Kachelmann. Sie kritisiert vielmehr einen Wortgebrauch, der gängige Vorurteile in Bezug auf eine Vortäuschung von Vergewaltigung oder eine Mitschuld der Frauen bestätigt. Ausdrücke dieser Art drohen letztlich den zivilgesellschaftlichen und juristischen Umgang mit sexueller Gewalt in bedenklicher Weise zu beeinflussen.”
Stefan Daub„ Opfer-Abo
„Coram iudice et in alto mari sumus in manu Dei“ – „Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand“
Römische Juristenweisheit
Diese „Juristenweisheit“ transportiert für mich auch heute noch ganz aktuell ein Gefühl von Machtlosigkeit. Offensichtlich wusste man schon im alten Rom um die Ohnmacht des Einzelnen vor der richterlichen Gewalt. Eben diesem Gefühl sehen sich Angeklagte wie Ankläger vor Gericht ausgesetzt. Die Justiz spricht Recht, nicht Gerechtigkeit, sodass dem Falschbeschuldigten nur die Hoffnung bleibt, „da unversehrt wieder herauszukommen“.
Zugleich kann kein Opfer darauf vertrauen, dass das erfahrene Unrecht auch geahndet wird. Wo Richter, Presse, Medien und die öffentliche Meinung zur Naturgewalt werden, ist der Einzelne ausgeliefert und kann nur auf Gerechtigkeit hoffen, egal ob er auf der Anklagebank sitzt oder Opfer ist.
www.stefandaub.de
Jan Nouki Ehlers„ Opfer-Abo
Opfer-Abo – wie kann so ein Wort entstehen?
Lassen wir die ganze Geschichte im Detail weg, es interessiert ausschließlich das Wort und sein Ursprung. Ob es gerechtfertigt ist oder nicht, das ist ein Sachverhalt, der hier nicht wichtig ist. Es ist zu einfach auf jemanden zu zeigen, der am Ende eines Dramas etwas sagt, was nicht wertfrei ist, sondern aus persönlicher Verbitterung und Wut gesagt wurde. Frauen haben ein Opfer-Abo, dies ist natürlich nicht wahr und diffamierend. Aber was steckt hinter dieser Aussage? Wie kann es soweit kommen?
Es stellen sich folgende Fragen: Ist es nicht zu einfach, mit dem Finger auf den letzten Fehler zu zeigen, der sich in einer langen Kette von Ereignissen befindet?
Es gibt in der Entstehungsgeschichte des Unwortes keine klaren Täter-Opfer-Abgrenzungen. Kein schönes Märchen-Klischee, in dem wir ganz klar böser Wolf und holde Jungfrau positionieren können. Jeder hat Dreck am Stecken, die Geschichte ist traurig und erschütternd.Das Problem an den verzwickten Sachverhalten ist die Rolle der Außenstehenden. Derjenigen, die die Öffentlichkeit beeinflussen und diejenigen, die es aufnehmen. Die Presse hat sich durch undifferenzierte stimmungsmachende Berichte in ihrer ewigen Suche nach Täter-Opfer als Richter und Henker betätigt. Die unkritische Leserschaft hat dankbar den nächsten Skandal in sich aufgesogen und sich an Verleumdung, Betrug, Verrat und Verbrechen gelabt. Sex and Crime sells – die uralte Formel zieht – so billig sie auch ist, auch in unserer „gebildeten“ Gesellschaft .
Die Verallgemeinerung, Phrasen und „Wir“ schaffenden Polarisierungen der Presse schafft in ihrer Umsatzeuphorie die seltsamsten Blüten. Die gesamte Gesellschaft wird mit falschen Stimmungen gelenkt. „Wir armen Deutschen“, „ Wir, die Arbeitspferde
der EU - die faulen Griechen , die Siesta Spanier etc“ Das Lebensgefühl einer gesamten Kultur wird von ein paar findigen, pauschalisierenden Sloganerfindern gelenkt. Wir sind Opfer, wir alle wurden überfallen, vergewaltigt und ausgenutzt - Täter sind nur einzeln und auf die kann man gut zeigen. Diese Kampagnen sind ein Schlag ins Gesicht der echten Opfer. Eine Medienlandschaft, die unkritisch jeden Vorwurf, jedes Geschmäckle publiziert und auf Umsatz hofft, ist der eigentliche Täter. Verurteilen sollten Gerichte und keine Journalisten, die Verkaufszahlen im Nacken haben. Diejenigen die sich durch Falschaussagen in die Reihe der echten Opfer von schrecklichen Verbrechen stellen, sollten sich bewusst sein dass sie die wahren Opfer ausnutzen und sich schuldig machen daran, dass echte Opfer nicht ernst genommen werden.
Diejenigen die durch stimmungsmachende Berichterstattung voreilig in eine Richtung schießen sollten sich bewusst sein, dass sie auch Verbrechen begehen. Wir sind Opfer
- wir sind Papst. Alle berechtigten Kritiken an der Kirche - z.B. Aufklärung, HIV, der radikale Pius-Orden etc. werden in der gefühlten „Wir sind Papst“-Besoffenheit der selbstzufriedenen Presse vergessen.
Wir sind Papst. Klingt doch so schön. Und er ist so ein guter Papst, wir sind so gut, es klingt nach so einer schönen Geschichte - Ende gut, alles gut.
www.janehlers.net
Julia Essl„ Opfer-Abo
Frauen raus aus der Opferrolle !?!
Eindeutig?
Die Medien projizieren die bösartige Frau, die eine Opferrolle vortäuscht, doch wie sieht die Wahrheit aus?
Wie können wir noch zwischen Realität und Fiktion unterscheiden, wenn jeder Frau laut Jörg Kachelmann ein Opfer-Abo in die Wiege gelegt sei? Dadurch wird die tatsächliche Vergewaltigung verharmlost und die Glaubwürdigkeit noch mehr angezweifelt. In wie vielen Fällen sind es die Männer, die der Frau die „Hörner“ aufsetzen, ihr Vortäuschung unterstellen?
Meine Botschaft geht an all die Frauen, die sich nicht öffentlich zeigen, sich in Verschwiegenheit quälen, obwohl sie einer sexuellen Gewalttat zum Opfer gefallen sind: Habt den Mut zur Wahrheit und Gerechtigkeit!
WWW.JULIAESSL.DE
Albrecht Haag„ Opfer-Abo
Sie kannte ihn schon länger. Irgendwann oder von Anfang an hatte er sie betrogen.
Aber er war nie gewalttätig. Dann war er weg.
Etwas in ihr war gestorben. Sie erfand diese Geschichte. Man glaubte ihr.
Es gibt keine wissenschaftlich belegten Zahlen, welcher Anteil der angezeigten Vergewaltigungen in Wirklichkeit Falschbeschuldigungen sind. Das Spektrum reicht von 3 – 80 %. Fakt ist, dass es sie gibt.
Die Selbstverständlichkeit menschlicher Fehlbarkeit – auch aufseiten der Ermittlungsbehörden und Justiz – erfordert umso mehr die Unschuldsvermutung für alle Beteiligten. Dass das im Einzelfall nicht immer so ist, beschreibt das Wort Opfer-Abo recht zutreffend.
Durchschnittlich wird etwa jede Stunde in Deutschland ein Mensch vergewaltigt oder Opfer schwerer sexueller Nötigung. Überwiegend sind die Opfer Mädchen und Frauen. Oft kennen sie den Täter.
Selten zeigen sie ihn an. Aus Scham – und auch aus Angst, man würde ihnen nicht glauben.
Etwa 7.700 Personen pro Jahr in Deutschland sind durch Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung ( je nach Schätzung der Dunkelziffer auch mehr) der zynische Beleg für den Begriff Opfer-Abo. Zu etwa 90% sind die Opfer weiblich. Quellen: Wikipedia, Statistik des BKA für 2010
www.albrecht-haag.de
Christoph Kelz„ Opfer-Abo
Dem kleinen Anteil der Täterinnen („Opfer“), die durch das Instrument der Falschbeschuldigung ganze Existenzen und Leben zerstören, und mit dem tatsächlichen Opfer („Täter“) und der beteiligten Justiz wie mit einem Marionettentheater umgehen können, steht der viel größere Anteil von Opfern realer sexueller Gewalt gegenüber, welche vielleicht sich schämend, ängstlich und sich alleingelassen fühlend, gefangen in einem Netz aus Verletzungen und Vorurteilen, nicht die Kraft finden, sich wehren oder überhaupt mitteilen zu können. Die Frau -als Täter- sitzt bei der Waffe der (auf Basis von Macht, Geld oder Rache motivierten) Falschbeschuldigung mit erfundenen sexuellen Gewalttaten eindeutig am längeren Hebel als der Mann (so Vorurteile bedienend wie: Frau schwach - Mann stark, Frau Opfer - Mann Täter, Frau gut - Mann böse).
Den gedemütigten und verletzten Frauen aber, Opfer realer und bösartiger sexueller Gewalt, traumatisiert, seelisch gebrochen und vielleicht unfähig noch zu lieben oder Frau zu sein, muss die Zuschreibung eines „Opfer-Abos“ an ihr Geschlecht wie blanker Hohn erscheinen.
www.christophkelz.com
Jens Steingässer„ Opfer-Abo
»Kachelmann ist aber – legen wir den Freispruch als Maßstab zugrunde – selbst Opfer, und er hat natürlich das Recht, sich in einem Interview in polemischer Art zu einer Stimmung zu äußern, die ihn in eine gesellschaftliche Katastrophe geführt hat.«
...
»Darin liegt die fundamentale Schwäche des „Unworts“: Die Wahl entkleidet die Begriffe jeglichen Zusammenhangs und zeigt damit nur eine nach Belieben zu verzerrende Oberfläche.«
(Bernd Matthies im Tagesspiegel Online, 16.01.2013)
...beim Wort Opfer-Abo kam mir eine ganz andere Geschichte zurück ins Gedächtnis, die in meiner Wahrnehmung perfekt zum Wortgebilde Opfer-Abo passt:
Bei einer Reportage in Bangalore, Indien, trafen der Journalist J. Pennekamp und ich auf ein Gruppe von Jungen, die sich als Prostituierte anbieten.
Die meisten von Ihnen wurden als Kinder von Männern missbraucht, was
in den meisten Fällen dazu führte, dass sie von ihren Familien isoliert wurden. „Das ist der Normalfall “, sagt die indische Sozialarbeiterin Dhananjay.
Von Söhnen werde erwartet, dass sie die Familie fortführen. „Mit dem Stigma des Missbrauchs werden sie verstoßen.“
Früher oder später landen die meisten Stricher in den Händen von Zuhältern, die aus dem Leid der wehrlosen Kinder ein Geschäft machen.
Später verschwimmen dann allzu oft die Grenzen zwischen Tätern und Opfern, manche Prostituierten werden selbst zu Zuhältern, was uns auf besonders erschütternde Art und Weise durch den Priester Suresh vor Augen geführt wurde.
Ich habe selten derartige Opfer-Biographien erlebt, als hätten die missbrauchten und verstoßenen Jungen den Opferstatus abonniert.
www.jens-steingaesser.de
Rahel Welsen„ Opfer-Abo
Opfer ohne Abo
Kachelmanns Ausspruch, Frauen hätten ein Opfer-Abo in der Gesellschaft, speziell wenn es um Vergewaltigungsvorwürfe ginge, ist ein Schlag ins Gesicht für all jene Frauen, die tatsächlich vergewaltigt wurden. Wie vielen Frauen dies in Deutschland jährlich widerfährt, ist nicht ganz klar - die Fachleute streiten über die Höhe der Dunkelziffer. Doch alle Zahlen sind erschreckend hoch.
Eine Vergewaltigung nachzuweisen ist oft sehr schwer. Denn nur wenige Frauen schaffen es, direkt nach der Tat ein Krankenhaus aufzusuchen und wichtige Beweisspuren sichern zu lassen. Oft erst Tage, Wochen oder gar Monate später kommt es zu einer Anzeige - und viele Taten werden aus Scham oder Angst nie angezeigt. Diesen Umstand der schwierigen Beweisführung machen sich einige Frauen zunutze und beschuldigen ihnen ungelegene Männer kurzerhand der Vergewaltigung. Leider ist auch die Zahl der zu Unrecht verurteilten Männer viel zu hoch...
Die wirklichen Opfer, egal ob Mann oder Frau, leiden oft ihr Leben lang unter den Folgen der Tat.
www.rahel-welsen.de
Andreas Zierhut„ Opfer-Abo
links: Lacht diese Frau, wenn jemand die Treppe herunterfällt? Hasst diese Frau Ausländer?
Bestiehlt diese Frau ihre Freunde?
rechts: Ist dieser Mann ein liebevoller Vater?
Engagiert sich dieser Mann ehrenamtlich im Behindertenwohnheim? Weint dieser Mann, wenn er eine Katze überfährt?