2022 Klimaterroristen

  • Klimaterroristen

    Mit dem Ausdruck Klimaterroristen wird im öffentlich-politischen Diskurs pauschal Bezug auf Akteur:innen genommen, die sich für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens einsetzen. Der Ausdruck wurde im öffentlichen Diskurs gebraucht, um Aktivist:innen und deren Protest zu diskreditieren.

    Die Jury kritisiert die Verwendung des Ausdrucks, weil Klimaaktivist:innen mit Terrorist:innen gleichgesetzt und dadurch kriminalisiert und diffamiert werden. Unter Terrorismus ist das systematische Ausüben und Verbreiten von Angst und Schrecken durch radikale physische Gewalt zu verstehen. Um ihre Ziele durchzusetzen, nehmen Terrorist:innen dabei Zerstörung, Tod und Mord in Kauf. Durch die Gleichsetzung des klimaaktivistischen Protests mit Terrorismus werden gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt.

    Mit der Verwendung des stigmatisierenden Ausdrucks Klimaterroristen verschiebt sich zudem der Fokus der Debatte von den berechtigten inhaltlichen Forderungen der Gruppe hin zum Umgang mit Protestierenden (z.B. Präventivhaft). Die Forderungen der Klimaaktivist:innen, die Klimakrise durch wirksame politische Maßnahmen zu bewältigen, treten im öffentlichen Diskurs dabei ebenso in den Hintergrund wie die globale Bedrohung durch den Klimawandel. Im Vordergrund steht stattdessen die Frage nach politischen und juristischen Handlungsmöglichkeiten gegen zivilgesellschaftliche Akteur:innen. Der Ausdruck Klimaterroristen reiht sich in ein Netz weiterer Unwörter ein, die dazu dienen, die Aktivist:innen und deren Ziele zu diffamieren und in den Kontext von Gewalt und extremer Aggression zu stellen. Zu dem Netz der weiteren Unwörter zählen Klimaterrorismus, Ökoterrorismus oder Klima-RAF.

 

Stefan Daub

Mich sorgen nicht die Protestaktionen von Klimaaktivisten – als beängstigend und bedrohlich empfinde ich die Reaktionen mancher Menschen, die durch die Protestaktionen in ihrem Alltag behindert werden.

Wer ist näher am bewaffneten Kampf? Von wem geht die Gefahr aus?

Wenn der empfundene Anspruch auf (Aus-) Nutzung fossiler Energien und das Recht auf den gewohnten Lebensstil als gegeben und verdient definiert werden, ab welchem Punkt werden wir bereit sein, dafür zu kämpfen und ihn mit Gewalt zu verteidigen?

  • „komisch sehe nur aggressive Passanten und keine Aggression seitens der letzten Generation. Wer wohl zuerst mit Waffen ankommt.”

    „Sofort hinrichten”

    „Kommt ruhig aufs Dorf, wir wissen wo man Leichen vergräbt.”

    „Benzin drüber und die Wärme genießen...”

    „Gewalt ist zur Beendigung einer Nötigung tatsächlich ein probates Mittel.”

    „LKW+Vollgas=frei Fahrt”

    „Das wäre mein größter Traum, das einer von diesen Amöben mein Auto anfasst! Obwohl das Leben mit 2 Handprothesen auch schön sein kann. Terroristen Pack!”

    „Es kommt der Tag, an dem ich Zufus unterwegs bin und diese Leute sehe… und ich werde reintreten ohne Gnade ohne Reue”

    „Freue mich schon darauf die zu treffen. Dann gibt es einen gepflegten Tritt ins Gesicht.”

    „Feuerlöscher ins Gesicht schießen.”

    „Die gehören so geschlitzt ich schwöre jeder einzelne”

    „Lasst die Fäuste fliegen!”

    „Einfach mit Auto rüber fahren

    „Was passiert eigentlich wenn die fest geklebten Hände mit einem Hammer in Berührung kommen?”

    „Dreht eure Autos mit dem Auspuff zu denen um und lasst den Motor laufen.”

    „Gibts es denn niemanden der diese Leute aus dem Bodensatz der Gesellschaft wieder erkennt/persönlich kennt und diese Informationen teilen möchte? Wohnort etc. damit man sie z.B Nachts auf dem Nachhause weg... “

    „Füße ein betonieren und ab in den Fluss.”

    „Alle nach Sibirien und dort Kohlen weiß schrubben.”

    „Es ist nur eine Frage der Zeit bis so eine Situation mal richtig eskaliert. Und, bei -1 Grad, Wasser drüber und sitzen lassen! Mal sehen wie lange sie durchhalten!”

    „Noch nie freute ich mich so sehr jemanden leiden zu sehen”

    „Klimachaoten per Schlauchboot mit Joghurtbechern auf die Weltmeere schicken, dort können sie Wasser abschöpfen um den Meeresspiegel zu senken.”

    „Ich fand die Praktika im MA manchmal gar nicht so schlecht - die würden in eine Kirche oder Scheune gesteckt und dann wurde das Ding angezündet.”

    „Tempolimit von 100 Km/h auf der Autobahn Da kann kommen was will, wenn möglich wird der Hahn aufgedreht!! 19€ Ticket ist mir egal, fahre nicht mit der Bahn!! Aber grundsätzlich gehört die letzte Generation ausgerottet!!”

    „Stellen die sich mir in den Weg werden die ihre eigenen Zähne schlucken”

    „Naja wenn sie da kleben kann man in Ruhe Anlauf nehmen und mit der Schuhsohle direkt ins Gesicht springen”

    „Am besten ins Koma prügeln”

    „Dann wird es eben Zeit auch aktiv zu handeln und Selbstjustiz auszuüben. Ganz einfach.”

 

 

Nouki

„Fiktion / Realität”

Die Bezeichnung Klimaterroristen stellt Aktivist*innen in eine von der Gesellschaft losgelöste Position. Der engagierte Mensch wird zum ausserhalb der sozialen Struktur Deutschlands agierenden Extremisten. Diese Ausgrenzung bewirkt, dass jegliches Handeln dieser Personen als nicht akzeptabel bzw. nicht demokratisch oder gar verfassungsfeindlich betrachtet wird. Zudem ist der Begriff des Terroristen eine Verallgemeinerung, die die einzelne, engagierte Person zu einem gesellschaftlichen Schreckgespenst mutieren lässt.

Bild 1 ist ein Zitat des Münchner Olympia-Attentats von 1972, bei dem palästinensische Terroristen israelische Sportler als Geiseln nahmen. Zwei Geiseln wurden direkt von den Terroristen ermordet. Sechs weitere starben bei der dilettantisch durchgeführten Befreiungsaktion durch Bundesgrenzschutz und die bayrische Polizei. Das Original-Foto eines jener Terroristen auf dem Balkon der Connollystr 31 in München habe ich an eben dieser Stelle mit Ernst, einem Klimaaktivisten, nachgestellt.

Dieses unscharfe Bild eines Schreckgespenstes im Stile einer „Nessie“-Aufnahme auf dem Balkon stellt den unklaren, diffusen, beängstigenden und anonymen Dämon dar, den der Schöpfer dieses irrsinnigen Wortes heraufbeschworen hat.

Im zweiten Bild sieht man Ernst, der sich entschlossen und mit festem Blick zeigt und der zu seinem Engagement steht. Ein Mensch, der im immer weiter währenden Strudel der Menschheit innehält, um den Blick zu erheben und um zu ändern.

Ernst ist seit zehn Jahren im Ruhestand und setzt seine ganze Kraft und Zeit dafür ein, die Politik mit konstruktivem Druck dazu zu bewegen, die Lebensgrundlage der Erde nicht weiter zu zerstören, sondern sie, wie es unser Grundgesetz verlangt, zu schützen. Dass er dabei selbst auch individuell versucht, seinen Beitrag zu leisten, ist für ihn unabdingbar.

Ernst hat sich in Liebe zu den Menschen von Anfang an am friedlichen und zivilen Widerstand der Letzten Generation beteiligt.  Die vom Staat dafür verpassten Strafen, gegen die er natürlich Einspruch eingelegt hat, liegen bis jetzt bei über 500 Tagessätzen und es trudeln monatlich weitere Strafbefehle ein, die Ernst allerdings nicht in seinem Einsatz bremsen werden.

 

 

Julia Essl

„Klimaterroristen“

 

 

Albrecht Haag

„Erste und letzte Generation”

Weitgehend unbemerkt blieben die Protesthandlungen von Koriphäen aus der Autoindustrie – auch wenn diese vor den Augen der Öffentlichkeit passierten. Wie bei allen untersuchten Terrorismusphänomenen wird generationenübergreifend eine prägnante und symbolische Form des Angriffs gewählt (hier: Hand festkleben, knieend).

Dem später geschassten Volkswagen-Vorstandsvorsitzenden Winterkorn (der im Hintergrund das Verbrenner- Aus erfolgreich mit einem von ihm lancierten Dieselskandal befördert hat) ist es mit seinen spektakulären Auftritten auf Automessen und in der Autostadt nicht gelungen, weitere Autoverkäufe zu verhindern. Einige weitere Millionen Einheiten wurden an ihm vorbei „in den Verkehr“ gebracht.

Konsequenterweise fokussiert sich nun die aktuelle (letze) Generation auf das Blockieren von Verkehrswegen (Hände festkleben) – aber auch mit Posieren vor großer Kunst (knieend, klebend).

 

 

Jens Mangelsen

„Was ist Terrorismus?”

 

 

Sebastian Reimold

„DIE EPOCHE DES KLEBENS”

Von den Folgen des Klimawandels sind bisher in erster Linie viele Länder des globalen Südens betroffen, aber sie sind auch bei uns schon direkt spürbar. Hitze, Dürre und Unwetter-Ereignisse mit Stürmen und Überschwemmungen nehmen massiv zu. Um einen weiteren Anstieg der durchschnittlichen Temperatur abzuwenden, müssen viele Themen gleichzeitig und schnell angegangen werden. Dank der Klimaproteste von Greenpeace, BUND oder Fridays for Future ist in der Bevölkerung über viele Jahre ein großes Verständnis für das Thema entstanden.  

Ähnliche Ziele verfolgt auch die „Letzte Generation“, aber die Proteste dieser Gruppierung wirken häufig wie eine Selbstinszenierung und werden der Komplexität der Klimawandel-Problematik bisher nicht gerecht. Es erfolgt eine Fokussierung auf wenige Themen, die als nicht verhandelbar gefordert werden, obwohl andere Bereiche wichtiger wären. 

Vereinzelte Aktionen sind schwer nachvollziehbar: Mit dem Absägen eines Baumes vor dem Kanzleramt die Regenwald-Abholzung anzuprangern, ist als Sinnbild ebenso fragwürdig wie das Grundgesetz-Denkmal mit schwarzer Farbe zu beschmieren, wenn man für die Umsetzung von Gesetzen demonstrieren möchte.

Eines ist klar: Es ist von größter Wichtigkeit, sich der Klimaproblematik zu stellen. Und die Bezeichnung „Klimaterroristen“ ist natürlich völlig überzogen. Aber die Form der Proteste könnte dazu führen, dass ein zunehmender Teil der Bevölkerung bei Themen zum Klimawandel ablehnend reagiert. Diese Polarisierung wäre in Anbetracht der Aufgaben kontraproduktiv.

Bilder an der Wand v.l.n.r.:

1. Braunkohleabbau Garzweiler 2023

2. Braunkohlekraftwerk Neurath 2023

3. Platane in Bessungen nach Sturmtief Fabienne (2018)

4. Starkregen in der Jahnstraße nach Sturmtief Fabienne (2018)

5. Sturmschaden im Prinz-Emils-Garten nach Sturmtief Fabienne (2018)

6. Kastanie in der Orangerie nach Sturmtief Fabienne (2018)

7. Feuer als Symbol für die weltweite Zunahme von Waldbränden (z.B. Australien, Kalifornien, Mittelmeer-Raum, Sibirien…)

8. Quallen im Meeresmuseum Monaco (Symbolbild für die Veränderung der Artenpopulationen in den Ozeanen)

9. Waldschäden in Griesheim 2023

  

 

 

Jens Steingässer

„5 vor 12“

 

 

Rahel Welsen

„Darmstadt 2053“

Wie sieht ein Spaziergang in Darmstadts Wäldern in dreißig Jahren aus?

Ich wünsche mir sehr, dass wir die Kurve kriegen und endlich angemessen kraftvoll dem Klimawandel entgegensteuern. Längst zeigen sich seine Vorboten auch bei uns überdeutlich: etwa die Flutkatastrophe im Ahrtal. Global ist der Kampf um wichtige Ressourcen in vielen Ländern der Welt bereits in vollem Gange, beispielsweise der Kampf um den Zugang zu Wasser. Jedoch – der Mensch ist ein Meister im Verdrängen, kompetent in Ignoranz. Die Komfort-Zone wird freiwillig nicht verlassen. Erst wenn der eigene Garten nicht mehr bewässert werden darf, die Autowäsche gefährdet ist, ganze Wälder Mitteleuropas in Hitze und Dürre verelenden, dann regen sich Verwunderung und Empörung. Gerade auch die Wälder rund um Darmstadt sind in einem katastrophalen Zustand, jeder kann es sehen. Dennoch spaziert die junge Familie fröhlich mit Atemschutzmaske durch den Zombi-Forst.

Auch wenn ich die Aktionen der sogenannten Letzten Generation weder zielführend noch gut finde: die Angst der Aktivisten teile ich.

Danke für die Unterstützung durch die Berufsfeuerwehr Darmstadt

 

 

Andreas Zierhut

I. Kognitive Dissonanz

Wohlstand, Konsum und der „Fortschrittsimperativ“ sind die Glücksversprechen entgrenzter Konsumgesellschaften. Selbstverwirklichung wird zu einem großen Teil an Erfolgskriterien festgemacht: Wohlstand bedeutet soziales Prestige und persönliche Freiheit.

Eine Ökonomie ohne Wachstum ist im Kapitalismus nicht vorgesehen. Unbegrenztes Wachstum wird aber mit logischer Zwangsläufigkeit irgendwann die Ressourcen zerstören, von denen es sich nährt. Ein unauflösbares Dilemma, das letzten Endes – genauso zwingend – auf fundamentale Veränderungen unseres Wirtschaftsmodels hinausläuft. Das jedoch stellt für viele Menschen Lebenskonzept, Werte und Träume in Frage.

Einen inneren Zustand aus widersprüchlichen Gedanken und Empfindungen nennt man in der Sozialpsychologie „kognitive Dissonanz“. Systemimmanente Öko-Katastrophen und das Versprechen der Konsumgesellschaft, es werde uns immer besser gehen, sind zueinander dissonant. Diese Unvereinbarkeit wird als unangenehm empfunden, der Mensch ist bestrebt, das aufzulösen.

Sehenden Auges lebt die deutsche Gesellschaft das grenzenlos gute Leben weitgehend weiter wie in den letzten 50 Jahren. Wir denken uns und unsere Zukunft weder in apokalyptischer Dimension noch ohne Auto. Wir lösen die Dissonanz auf, indem wir die Katastrophe, das unangenehm dissonante Element, in die Zukunft verdrängen.

Das Wort „Klimaterroristen“ ist Teil dieses Verdrängungsprozesses. Der Sprecher lenkt die Aufmerksamkeit vom beunruhigend dissonanten Problem hin auf einen anderen Punkt, der als krimineller Akt praktisch ohne Bezug zu Klima-Szenarien betrachtet werden kann – und damit weniger bedrohlich für den eigenen Lebensentwurf wird.

II. Durch Art. 20a GG aufgetragene Treibhausgasminderungslast

Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsbeschwerde gegen das am 01.01.2020 in Kraft getretene Klimaschutzgesetz:

„Die Vorschriften [des KSG] verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. […] Um das Paris-Ziel zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind.“